- germanische Kunst.
- germanische Kunst.Wie in vielen bäuerlichen Kulturen waren bei den Germanen die meisten Kunstgegenstände anfänglich schlicht und zweckgebunden. Noch die frühgermanische Kultur der vorrömischen Eisenzeit ist trotz keltischer Einflüsse arm an künstlerischer Gestaltung, streng geometrischer Ornamente herrschen vor, selten sind Tier- oder gar Menschenfiguren (u. a. stark stilisierte Götterfiguren aus Holz vom Wittemoor bei Oldenburg [Oldenburg], 3. Jahrhundert v. Chr.). Anregungen aus dem hellenistisch-pontischen Gebiet verdankt die germanische Kunst die Kenntnis der Technik des Filigrans, der Granulation, der Einlage von bunten Steinen und Glas sowie der Emailtechnik. Ab dem 3. Jahrhundert v. Chr. wurden römische Vorbilder aus dem Darstellungsbereich der Tierwelt gelegentlich v. a. in Südskandinavien nachgeahmt und in kompakten Formen prägnant stilisiert; stilbildend wirkte sich die Tierornamentik jedoch erst ab dem 5. Jahrhundert n. Chr. aus. Neben den Tiermustern vermittelte die enge Berührung der Germanen mit der römischen Welt an Rhein und Donau auch das Verfahren des Kerbschnitts.Abgesehen von Keramik mit oft reichem Dekor sind v. a. Arbeiten aus Bronze, Eisen und Stein überliefert. Ein Vergleich mit den wenigen erhaltenen Schnitzwerken zeigt, dass für die meisten Metallarbeiten Vorbilder aus Holz vorauszusetzen sind, eine Abhängigkeit, die besonders für den Kerbschnittdekor an Werken des 4.-6. Jahrhunderts gilt. Die Baukunst in Holz und die Bauplastik waren wohl stets bedeutend: diese Annahme wird durch spätwiking. Reste von Stabkirchen gestützt. Reste von Bildteppichen und in Kleidungsstoffen eingewebte Tierbilder sind erhalten. Malerei wurde wahrscheinlich nur in Form farbiger Einlagen von Holz- und Steindenkmälern betrieben. Bildsteine sind technisch oft ähnlich wie Schnitzwerke behandelt worden. An Schmucktechniken bei Metall waren v. a. üblich Pressblechformung über Modeln, Tauschieren (meist von Silber in Eisen), Niello, Punzierung, Arbeiten mit Einlagen von Almandinen und Glas in einem Netzwerk von Goldstegen. Der Bronzeguss mit anschließender Feuervergoldung, die häufigste Metalltechnik, wurde meist in zweiteiligen, von Positivmodeln abgeformten Schalenformen ausgeführt. Fibeln, Waffen u. a. Gebrauchsgegenstände dienten als Bildträger.Stile: Die Forschung hat sehr unterschiedliche Merkmale der germanischen Kunst herausgegriffen. Bernhard Salin (* 1861, ✝ 1931) unterschied in seiner grundlegenden Studie im Wesentlichen nach Detailformen (Köpfe, Schenkel, Füße usw.). Andere haben die Gesamterscheinung, Kompositionsformen, Motive, Schmuck- und Darstellungstechniken stärker berücksichtigt. Vor den von Salin bestimmten Tierstilen I-III zwischen dem späten 5. Jahrhundert und der Wikingerzeit war um 400 n. Chr. in Skandinavien der Sösdalastil verbreitet, gefolgt vom Nydamstil. Ersterer wird v. a. durch die Kombination der Tiermotive mit Punzdekor und Teilvergoldung auf Silber definiert. Zu dieser Stilrichtung zählen auch die Goldhörner aus Gallehus. Der Nydamstil ist das Ergebnis einer Aneignung der Fauna und des Spiraldekors von spätrömischen Kerbschnittbronzen, er zeigt großflächig gegliederte Tiere, die mit Punzdekor besetzt sind. Beim Tierstil I, der sich im südlichen und östlichen Küstengebiet der Nordsee entwickelte, wird der Kerbschnittdekor zum Teil beibehalten, die Darstellungsweise der Tierwesen hingegen wechselt meist. Kennzeichnend ist eine kleinteilige Abstraktion: Körperteile werden ihrer Bedeutung nach unterschiedlich groß dargestellt oder entfallen ganz, werden voneinander abgesetzt und in der Fläche aufgegliedert. Konturlinien um gewölbte Schenkel und abschnittsbetonende Gelenkringe sind Zeichen eines »kräftigen Stils«, während eine Variante mit schmaleren, bandförmigen Gliedern zum Tierstil II überleitet. Im übrigen Mitteleuropa, wo der geometrische Kernschnittdekor länger fortwirkte, wurde der Tierstil I kaum aufgenommen. Der Tierstil II entstand vor 600 n. Chr. in der germanisch-romanischen Kontaktzone aus einer Synthese im Tierstil I entworfener Motive und mediterraner Bandgeflechte (Flechtband). Er war, meist in regelmäßig-symmetrischen, bewegten, fließenden Formen gehalten, im 7. Jahrhundert über Mitteleuropa, die Britischen Inseln und Skandinavien in regionalen und zeitlichen Varianten verbreitet. In seinen mit den Körpern identischen Bandgeflechten ähnelt der skandinavische Vendelstil B dem frühen Tierstil II in Mitteleuropa, während Vendelstil C gemeinsam mit dem angelsächsischen Tierstil II feinfädige Geflechte aufweist, die die Körper umspielen und/oder von Körperenden ausziehen. Unter den Motiven des Vendelstils C herrscht ein Tier mit dreiseitiger Kontur vor. Im Vendelstil D sowie im Vendelstil E (im Wesentlichen Tierstil III) des 8. und der 1. Hälfte des 9. Jahrhunderts entfallen Bandgeflechte weitgehend zugunsten der gesteigerten Dynamik von Kompositionsformen, die einerseits von der mit keltischer Spiralornamentik durchsetzten northumbrischen Kunst Englands, andererseits vom ähnlichen anglokarolingischen Stil (8. Jahrhundert) beeinflusst sind. Von Vendelstil D mit seinen bandförmig-sehnigen Tieren, bestimmten Detailformen sowie oft überdehnten und »verästelten« Beinen unterscheidet sich Vendelstil E durch anschwellende und abschwellende, lappig erweiterte und stegartig verengte Körperteile, die durchbrochen sind und einander mehrschichtig überschneiden.In einer bereits wikingischen Gruppe aus Gotland (8. Jahrhundert n. Chr.) können Verbindungslinien zwischen Körperteilen fehlen. Vendelstil D und E gehen bruchlos in die frühe wikingische Kunst ein (Schiffsgrab von Oseberg). Als angelsächsischer Impuls tritt neu die Motivgruppe der Greiftiere hinzu, die noch auf den folgenden Wikingerstil einwirkte. In der 2. Hälfte des 9. Jahrhunderts wurden u. a. aus dem Vendelstil D entnommene Darstellungsweisen zum Borrestil verdichtet, der bis um die Mitte des 10. Jahrhunderts galt und in dem robust verknotete (Ringketten-)Flechtbänder sowie Tiere mit verflochtenen Gliedern und meist schmalen, gestreiften, oft ringförmig aufgebogenen Körpern, v. a. aber mit maskenartig dreieckigen Köpfen dargestellt sind. Der Jellingstil des 10. Jahrhunderts kennt u. a. locker verknüpfte, schlangenhaft s-förmig geschwungene, quer gerippte Körper, die Spiralen aufweisen. Er überlappt zeitlich und korrespondiert eng mit dem Mammenstil (2. Hälfte des 10. bis Anfang des 11. Jahrhunderts), in dem sich besonders massige, oft punktgefüllte, mit großen, Bewegung indizierenden Hüftspiralen besetzte Körper vor einem meist eng verflochtenen Hintergrund abheben. Neben Schlangen herrschen im Ringerikestil (spätes 10. bis spätes 11. Jahrhundert) Vierbeiner (»Löwen«) vor, die ähnlich wie im Mammenstil proportioniert, jedoch bewegter behandelt sind und deren Körperbau zu Bündeln verdichtet ist, die vegetabil wirken und als zoomorphe Umbildungen karolingischer Akanthusblätter gelten. Vom Urnesstil, der als abschließender, schönlinig verfeinerter Wikingerstil um 1050 entstand und ab dem Ende des 11. Jahrhunderts allmählich von der romanischen Kunst überlagert wurde, ist weniges aus Metall, mehr dagegen in Holz und Stein überliefert. Die überlang gestreckten Körper mit fließenden Konturen können in ein weitmaschiges Schlingwerk von feinfädigen, kalligraphisch ausschwingenden Körperenden, Ranken und Schlangen eingebunden sein. - Während in Skandinavien und auf den Britischen Inseln die Tierstile bis um 1100 in der künstlerischen Darstellung vorhanden waren, hatten sie in Mitteleuropa bereits um 800 n. Chr. aufgehört.Ikonographisch ließ sich diese Kunst nur selten näher bestimmen, weil erklärende Schriftzeugnisse weitgehend fehlen. Aufschlussreich sind v. a. die Bildsteine auf Gotland und als weitere Hauptquelle szenischer Kunst die Goldbrakteaten des 5.-6. Jahrhunderts. Diese oft mit Beischriften versehenen Bildamulette und ihre Vorbilder, die römische Münzen nachahmenden Medaillons, weisen auf einen mutmaßlichen Aussagebereich auch der Tierornamentik im Umkreis der Götter- und Heldenverehrung hin. Im Allgemeinen gilt, dass die frühen Stile und die Tierstile nicht als ornamentalisch (d. h. sinnentleert im Gegensatz zu szenisch) begriffen wurden. Jedoch hat man anscheinend sowohl in mehr szenischen wie mehr ornamentalen Bildern meist kein individuell-geschichtliches, sondern exemplarisch-sakrales Geschehen dargestellt.Kunst der Welt, Bd. 17: Kelten u. Germanen in heidn. Zeit, bearb. v. H. J. Eggers u. a. (1964, Nachdr. 1975);Kunst der Völkerwanderungszeit, hg. v. H. Roth (1979);T. Capelle: Holzschnitzkunst vor der Wikingerzeit (1980);T. Capelle: Die Wikinger. Kultur- u. Kunstgesch. in Grundzügen (21988).G. Haseloff: Die german. Tierornamentik der Völkerwanderungszeit. Studien zu Salin's Stil I., 3 Bde. (1981).Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:Germanen: Unterwegs zu höherer Zivilisationgermanische Kunst der Völkerwanderungszeit und des frühen Mittelalters
Universal-Lexikon. 2012.